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Weshalb 1-2 Stunden Schulzeit pro Tag wenig mit unschooling zu tun haben

Der Begriff Freilernen ist nicht geschützt, deshalb wird er sehr unterschiedlich verwendet und oft nicht dasselbe darunter verstanden.

Es gibt einige Familien, die von sich sagen, dass sie freilernen, jedoch 1-2 Stunden Schulzeit pro Tag haben. Diese Schulzeit sieht wiederum bei jeder Familie anders aus. Die Einen beschäftigen sich vor allem mit Schulstoff, bei Anderen hat es Platz für eigene Projekte, bei den Einen wird der Inhalt von den Eltern beeinflusst, bei den Anderen weniger. Die einen sitzen am Pult oder halten sich in einem Schulzimmer auf, die anderen verbringen z.B. den Morgen in der Wohnung etc., es gibt so viele Farben wie es Freilerner-Familien gibt.

Für uns heisst Freilernen im Sinne von Unschooling, dass es keine Schulzeiten gibt. Schulzeiten machen eine künstliche, aber weitreichende Trennung zwischen Lernen/Arbeit und Spiel/Freizeit. Wir halten es für sehr wichtig, dass es diese Trennung möglichst (lange) nicht gibt. Wir möchten kein Absitzen von Pflichtzeiten, kein Erfüllen eines Lernsolls und damit auch bezüglich Lernen keine Kontrolle und keine Abhängigkeit von Erwachsenen. Kinder lernen immer und überall, sie brauchen keine Lernzeiten, die sie abhängig machen, die sie unterbrechen von ihren wichtigen Projekten, die ihnen das Gefühl geben sie müssen, nach x Minuten nichts mehr tun, während denen sie Erwartungen an andere Personen haben etc.. Mit solchen Schulzeiten wird der Konsum der Kinder gefördert. Sie konsumieren Inputs und Anregungen. Ist die Zeit vorbei, fallen sie in ein Loch und wissen nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Selbstverständlich ist das ganze auch Typen abhängig. Es gibt Kinder, die mit fast allem zurechtkommen und trotzdem immer wieder einigermassen zu sich und ihrem Weg zurückfinden. Wichtig ist jedoch zu sehen, dass Schulzeiten die Kinder von ihrem Weg abbringen. Es sind künstliche Steine, die den Kindern in den Weg gelegt werden, über welche die Einen schnell stolpern oder die Andern trotz allem noch tanzen.

Unsererseits spricht nichts gegen die Unterstützung der Kinder bei ihrem Lernen. Jedoch finden wir, dass diese Unterstützung weder von einer Zeit, einem Raum/Gebäude noch von bestimmten Menschen abhängig sein sollte. Wir unterstützen unsere Kinder viel lieber in dem Moment, wo sie selbst etwas entdecken, egal ob diese Entdeckung am Abend um 22 Uhr oder am Vormittag stattfindet. Natürlich kann genau diese Haltung auch von Menschen kommen, die selbst Unterrichtszeiten haben. Weshalb haben sie denn Unterrichtszeiten?

Vielleicht weil sie Angst haben, dass ihr Kind nicht das Richtige oder das Notwendige lernt?

  • Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch das, was er im Leben braucht, von sich aus lernen kann. Wenn ein Kind etwas wirklich erreichen oder lernen will, wird es ausdauernd auf dieses Ziel hinarbeiten, sofern es den Raum und die Zeit hat. Genauso wie fast jedes Kind Gehen lernt. Oder ein Beispiel von mir: Möchte ich was nähen, dass ich noch nie genäht habe, dann suche ich mir Hilfsmittel bis ich mein Ziel erreichen kann. Das ist bei einem Kind nicht anders. Das Kind braucht jedoch, je nachdem was es macht, Unterstützung von unserer Seite, die wir ihm im richtigen Zeitpunkt gerne geben dürfen.
  • Sollte das notwendige Lernen von den Eltern oder von einem älteren Kind dadurch definiert sein, dass es jederzeit einen Einstieg in die altersentsprechende Schulstufe schafft, dann braucht es auch hier keinen kontinuierlichen Unterricht. Will ein Kind wirklich in die Schule, wird es von sich aus auf dieses Ziel hin arbeiten, bis es einen Schuleinstieg problemlos schafft. Die Dauer der Vorbereitungszeit ist dann von vielem abhängig, z.B. davon, wie gross dieser Wille wirklich ist, weshalb es in die Schule will, wie der Stand des «Allgemeinwissens» ist, wie es sich zu helfen weiss, welche Mittel ihm zur Verfügung stehen und und und. Dieses Ziel wird vom Grundsatz her jedoch nicht anders erarbeitet und erreicht als Ziele, die wir uns im Erwachsenenleben setzten.
  • Von Allgemeinwissen halten wir nicht viel. Hand aufs Herz, was weisst du noch von dem, was du in der Schule gelernt hast? Es ist doch hauptsächlich das, was dich interessiert hat und evtl. noch das, was besonders spannend und in einem angenehmen Rahmen vermittelt wurde. Da sich die Interessen von Mensch zu Mensch unterscheiden, ist auch das Allgemeinwissen sehr unterschiedlich. Wir gehen davon aus, dass die Schule bezüglich Allgemeinwissen nicht einen besonders grossen Stellenwert hat. Wenn das natürliche Interesse der Kinder erhalten bleibt, werden sie schnell einen grossen Wissensschatz haben, ob dieses Wissen nun in die schulische Kategorie Allgemeinwissen passt oder nicht, spielt dabei keine Rolle, denn Allgemeinwissen ist einfach Lebenswissen und dies haben alle. Es ist unserer Meinung nach viel nachhaltiger und wertvoller, wenn unsere Kinder von ein paar Sachen die Zusammenhänge verstanden haben und diese anwenden können, als wenn sie von vielen Themen ein wenig wissen oder Sachen wie die 7 Bundesräte aufzählen können, aber für Politik kein Verständnis haben.

Vielleicht, weil sie Angst haben, dass ihr Kind den ganzen Tag nichts tun wird?

  • Kind langweilt sichAus der Langeweile entsteht Kreativität. Hier ist es an uns Erwachsenen, die Langeweile der Kinder so lange auszuhalten, wie sie es brauchen. Ein Kind, das von Anfang an in seinem Sein unterstützt und bei seinem Tun nicht ständig unterbrochen wird, wird Langeweile mit einer grossen Wahrscheinlichkeit weniger kennen, als ein Kind, welches sich von klein an, auf Inputs und Anweisungen (zusätzlich zu den familieninternen und gesellschaftlichen «Regeln») von aussen gewohnt ist. Jedoch können auch diese abhängigen Kinder wieder zu ihren Ursprungsinteressen zurückfinden, wenn man sie lässt. Dieses sogenannte Deschooling dauert bei Kindern, welche längere Zeit unterrichtet wurden, in der Regel geschätzte 1-2 Jahre, sofern sie sich dann nicht wieder in neuen (Teil-) Abhängigkeitsstrukturen befinden, ansonsten vermutlich eher länger. Ich selbst hatte zum Beispiel nach meiner Schulzeit während einem Jahrespraktikum zum ersten Mal die Möglichkeit, mich etwas zu sammeln und zu erholen. Etwas später kam dann ein fünfmonatiger Auslandsaufenthalt dazu. Ich würde jedoch sagen, dass das wirklich merkbare Deschooling bei mir erst begann, als ich mich völlig fürs Muttersein entschieden hatte und meine Teilzeitstelle aufgab.  Nach so vielen Schul- und Studienjahren, die ich hinter mir habe, würde ich auch heute noch nicht sagen, dass mein Deschooling abgeschlossen ist. Für konventionelle Schuldurchläufer und Berufseinsteiger ist dies wohl eine never ending Story.
  • Das Kind wird bestimmt was tun, aber vielleicht nicht das, was wir wollen oder erwarten. Kinder spielen und lernen nicht, wie wir Erwachsenen es uns vorstellen. Spielen und Lernen heisst nicht, das zu tun, was die Spielzeug- und Lernmaterialhersteller vordefiniert haben. Lernen bzw. Spielen ist entdecken, erforschen, erfahren, wiederholen, geniessen, beobachten, nachahmen etc.

SchuleFestgelegte Schulzeiten erschweren die natürliche, selbständige Beschäftigung ohne Bewertung. Gleichzeitig fördern sie weitere autoritäre Massnahmen wie Nachsitzen, Stillsitzen und Frontalunterricht, welche die Selbstbestimmtheit der Kinder einschränkt und die Abhängigkeit fördert. Wenn Kinder einmal an einen engen Rahmen gewohnt sind, werden sie diesen mit einer grossen Wahrscheinlichkeit über längere Zeit einfordern, weil er ihnen auch Sicherheit gibt. Diese Sicherheit bzw. eine noch tiefere Sicherheit würden die Kinder in ihrem triebhaften Tun und bei ihrem natürlichen Entdecken und Lernen finden, wenn man sie lässt und in sie vertraut. Es braucht sehr viel Vertrauen und wohl auch Durchhaltevermögen vonseiten der Erwachsenen, um ein Kind seinen Weg gehen zu lassen. Jedoch ist es doch der meisten Eltern’s Wunsch, dass die Kinder ihre Berufung finden. Wir könnten es ihnen aber bestimmt oftmals viel leichter machen als wir es effektiv tun. Hier stellt sich eigentlich nicht nur die Frage ob Schule oder nicht oder Unterricht oder nicht – sondern mit welcher Haltung begegnen wir den Kindern und wie setzten wir diese im Alltag um. Die allermeisten unter uns werden immer wieder in alte Muster zurückfallen, was auch eine Bereicherung sein kann, wenn wir unser Verhalten immer wieder reflektieren und anpassen. Ebenso wenig wie pures Unschooling kein Erfolgsversprechen ist, ist Schule auch nicht generell fehl am Platz. Hier ist ein schwarz-weiss wohl eher nicht angebracht. Was in welcher Situation das Beste ist, ist von sehr vielem abhängig. Wie nicht für jede Frau eine Hausgeburt die Lösung ist, ist auch nicht Unschooling (ohne Unterricht) für jede Familie die Lösung. Der ganze Rahmen, in dem die Kinder leben, bestimmt ihre Möglichkeiten. Manche Rahmen sind fester, manche flexibler. (Tanja)

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